EURO2012-Tagebuch (11)

[Vorrunde]

09.06.2012:

NiederlandeDänemark (18:00 Uhr – Charkiw – ARD)

Deutschland – Portugal (20:45 Uhr – Lemberg – ARD)

Heute greifen wir also ins Turnier ein, das erste Vorrundenspiel für Jogis Jungs. Also auch wenn es vom Zeitpunkt nicht ganz passt, das Erstrundenspiel gegen Portugal, weil ich es zwar in Kalk, aber nicht im EM-Studio Kalk sondern es bei einer Hochzeit sehe, so brachte mich ein Blick – ein Blick zurück in Zorn und Trauer – ins WM-Tagebuch 2010, wenigstens auf die angemessenen Manschettenknöpfe für diese Hochzeit:

Heute Abend – so gegen 22.30 Uhr – weiß ich mehr, dann ist kristallklar, ob ich diese Manschettenknöpfe jemals noch einmal tragen werde. Ich bekenne mich noch einmal und ausdrücklich schuldig in Fragen des Fußballaberglaubens. Und bin auch bereit, für einen erfreulichen Turnierverlauf, der uns am 01.07.2012 nach Kiew führt, Opfer zu bringen. Rudelgucken auf einer Hochzeit, hmmmh. Was wäre denn der nächste Schritt? Fußballgucken in einer Kirche? Aber auf so eine abwegige Idee käme doch kein Kulturkatholik. Das klingt eher protestantisch, oder?

Ja, denn der Pastor setzt seine Kirche bewusst in Szene, „nur so baut man Schwellen ab und bekommt Menschen in die Kirche“, weiß Manz, der seine Schäfchen auch gerne im National-Trikot begrüßt.

Nicht, dass dabei nachher UEFA-Auflagen zum PublicScreening verletzt werden!

*

Gestern hat mir Franz Josef Wagner (ich verstehe Fußball nicht, schreibe aber dennoch darüber) die Absolution erteilt. Ich habe gelernt, dass ich ein guter Fußballfan bin und kein Bengaloist. Ich konnte alle 5 Fragen mit einem zackigen „Ja!“ beantworten und das hat zur Folge, wie der Meister es ausdrückt,

(…) dann sind Sie kein Hooligan und kein Bengalos-Anzünder, sondern ein guter, lieber Fußball-Fan.

*

Manchmal wissen Wiederholungen durchaus zu gefallen, deshalb könnte ich mit einer Fortführung der Spielergebnisse gegen Portugal bei großen Turnieren leben: 2006 gewannen wir – im undankbaren Girlandenmenschen-Finale –  3:0, 2008 konnten wir uns 3:2 durchsetzen. Ein Auftaktdreier wäre ein durchaus erquicklicher Start in die EM. Mam nadzieję, że ja mam rację.

Der STERN wagt im EM-Favoritencheck „Deutschland: Schland! Oh, Schland? Gewinnt die deutsche Nationalelf den ersten Titel seit 16 Jahren?“ die Prognose:  „Der Titel ist – anders als 2008 oder 2010 – definitiv möglich.“ Das ist auch dringend nötig, damit das ZAG, Thünnwardt Tünnenson & ich wieder schlafen können! Der 1. Titel seit 16 Jahren könnte zum Durchschlafmittel werden, ich gebe überarbeitet wieder:

„ich will endlich wieder nen titel holen. ich  brauche nen titel. sechszehn jahre ist das jetzt her, das muß man sich mal vorstellen. in dieser zeit haben kirmestruppen wie griechenland (dank unserm otto) und italien titel geholt. zu schweigen von [Fuentes]-spanien. der fußball  ist doch eine farce.

Als frankophiler Fußballfan kann er den Titelträger von 2000 natürlich nicht als „Kirmestruppe“ bezeichnen… 😉 Ich glaube, ich war nur einmal im meinem Fußballer-Leben für Frankreich, das dürfte in einem Spiel gegen Italien 2006 gewesen sein. Die interessanteste Forderung zum heutigen Spiel kam jedoch gestern von Hansi Flick, der mit Hinblick auf die portugiesischen Freistöße äußerte:

Stahlhelm aufsetzen und groß machen!

„Groß machen“ auf dem Platz??! Sehr irritierend. Gibt es denn in Lemberg keine ordentliche Toiletten im Stadion? 

Alles egal, denn

bei einer Europameisterschaft geht es gleich von Beginn an zur Sache. Im Gegensatz zum aufgeblähten globalen Turnier geht es per Kaltstart von Null auf Hundert. Das macht den Reiz der EM aus und schon das erste Spiel kann richtungsweisend sein.“ (Marc Basten)

Dann drücken wir alle mal die Daumen, dass es ein guter Kaltstart wird und der Abwehrmotor nicht stottert.  Leider wird Mutti Angela Merkel die Vorrunde verweigernEin schlechtes Omen. Mein Rat als Politikberater im Kanzleramt wäre: „Hinfliegen, Logenplatz sausen lassen, in die deutsche Kurve gehen, mit Schal und Trikot.“

Denn: Wir sind bereit! Commentgemäßes Naschwerk ist eingekauft und das Deutschlandtrikot wird dann eben zum Anzug getragen. Und auch andere fiebern dem Moment entgegen,

„mein deutschlandtrikot hängt schon am schrank und wartet aufs rituelle übergestreiftwerden [… ]. ich krieg jetzt schon gänsehaut. dieser moment vor großen turnieren, wenn ich zum erstenmal das trikot anziehe, und die hoffnung noch groß ist… kerlekerlekerle..“ (ZAG, Hessisch-Lichtenau)

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Langsam sinkt meine Laune, was die Hochzeit angeht. Eben erfahren, dass Clark Kent und Steve Urkel von Anfang an spielen. Urkel gegen Ronaldo, Clark Kent gegen den Allestreter Pepe von Real Madrid. Gott steh uns bei

Unser Mann vor Ort – damt Kalk würdig vertreten ist – Hirngabel twittert gerade über seine Anreise zum Spiel:

Verfolgenswert.

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Der gestrige Spieltag:

Polen – Griechenland 1:1 (1:0)

Der Knallerauftakt! Polska Dortmund gegen Griechenland, das Exotischste, was eine EM zu bieten hat. Dem griechischen Team hätte man in Halbzeit 1 etwas mehr Feuer & Engagement gewünscht. Thünnwardt Tünnenson scheint jedoch froh zu sein, dass sich Geschichte in diesem Fall nicht wiederholt:

Griechenland hat 2004 zum Auftakt gegen Gastgeber Portugal gewonnen und dann im Finale nochmal. Ein absoluter Tiefpunkt in der Geschichte des schönen Fussballs.

Billige EURO-Witzchen im Kontext Griechenland spare ich mir auch an dieser Stelle. Ein Eröffnungsspiel, das nicht in die Geschichtsbücher eingehen wird: „Die Geschichte der Langeweile von 1960 bis 2012“. Nee, Spaß beiseite. Ich bin mir nicht sicher, ob die Polen in der ersten Halbzeit so stark waren oder die Griechen so schwach. Auf jeden Fall wird dieser Schiedsrichter mit seinem Kirmesplatzverweis schon mal nicht das Finale pfeifen. Ein munteres Eröffnungsspiel,  das seine Dramaturgie aus dem atemberaubenden Witzrot gegen Griechenland und dem Rot für den polnischen Torhüter bezog. „Wir werden bessere Spiele sehen, bei dieser Europameisterschaft.“ (Tom Bartels mit dem einzig überzeugenden Satz seiner Moderation). Nach dem Ausgleich war Polen offenbar tief geschockt und ließ die Griechen immer besser ins Spiel kommen. Redlich, schädliches Unentschieden. Oder wie man so sagt.

Und: Was macht Tom Bartels eigentlich hauptberuflich?

Russland – Tschechien 4:1 (2:0)

Dass ich mal so auf einer Linie mit Dick Advocaat, dem Rehhagel 2.0, liege, hätte ich auch nie gedacht! Nachdem er gestern so traumhaft schön formulierteEs geht nur um das Ergebnis, alles andere darf bei so einem wichtigen Turnier nicht interessieren„, bin ich sehr froh, daß auch berufenere Männer als ich auf schönen Fußball schei pfeifen.

Das Trikot der russischen Rentnerband hatte was von StudentenverbindungHaile Gebre Selassie, als erster farbiger Nationalspieler Cech-iens (2 Euro in die Humorverbrechenkasse), ist im Spiel sicherlich mehr als 10.000 Meter gelaufen und Kadlec hat in dem Match weniger aufs Maul bekommen als sonst auf den Ringen in Köln. Zu Beginn – in der ersten Viertelstunde – ein ziemlicher Graupenkick, die Tschechen stellten sehr gut zu. Doch dann konnte Russland seine starke Technik ausspielen. Sogar ein kleines Bengalo fand den Weg – aus dem russischen Block – auf den Rasen! Das wird den „Herren des Weltbildes“ nicht gefallen haben.

Nach dem 1:0 für Russland lange Zeit ein sehr einseitges Spiel. Folgerichtig fiel das 2:0, als der Mann mit dem Fahrradhelm sehr spät rauskam. Die Russen spielen ’n ganz attraktiven Fußball. Ich kann mir das gar nicht erklären… bei dem Trainer. Nach dem Anschlusstreffer der TschechenAnschluss wäre wohl politisch schwierig, so sensibel, wie alle im Moment unterwegs sind – wurde es noch eine sehr, sehr ansehnliche Begegnung für den neutralen Zuschauer. Die Alten Herren aus der Russischen Föderation machten dann aber souverän den Sack zu.

Die Erkenntnisse des Spiels: „Alte Männer können hinreißend Fußball spielen.“ (Reinhold Beckmann) Steffen Simon passte sich dem Niveau seines Moderatorkollegens Tom Bartels an. Wie Polen kann auch Tschechien keine Abwehr. Also sind wir mit diesem Defizit nicht so alleine.

Zitat des Abends: „Ich kann schon jetzt diese dusselige Blume nicht mehr sehen.“ (Anja Sauerwald)

Was sonst noch passierte / Presseschau:

Ein Interview mit Trainerlegende Hans Meyer: „Bundespräsident hätte mich schon gereizt.“

Die EM startet – Warum Gladbach ein Vorbild sein sollte: Endlich geht’s los!

Jerome Boateng war ungezogen, soll aber dennoch gegen Portugal beginnen.

Clark Kent Mario Gomez: „Ich bin weder Roboter noch Ratte.“ 

Tiere als EM-Orakel: Der Prognose-Zoo.

Fall Timoschenko: Empörungsmeister Deutschland

Irische EM-Fans: „Angela Merkel thinks we’re at work

Leserfeedback:

Mein Ex-Chef schickte mir als Reaktion auf das EM-Tagebuch folgendes Bild:

„Dattis mein Schöört… Jeder Hippie war Jünter-Fan…

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3 Comments

  1. […] samt Bildmaterial zukommen. Er als Zuträger dieses EM-Tagebuchs, kehrt vor dem Checkin im EM-Studio Kalk oder TADESK immer noch in den Drachenfelskiosk in Köln-Klettenberg ein, der mehr als angemessen […]

  2. […] einmal zum enervierenden Logo dieser EM. Die „Blumen des Bösen“ sind schon nicht schön, aber noch schlimmer ist diese Bitburger-Werbung: “Wenn aus einer […]

  3. […] ist Anja Sauerwald mit Ihrer freitäglichen Einschätzung der EM-Blume nicht alleine: Diese komische Blume ist echt das Nervigste, was ich je bei nem Turnier gesehen […]