EURO2012-Tagebuch (31)

[Finale minus 2]

29.06.2012:

Spanien – Italien Deutschland (01.07.2012, 20:45 Uhr – Kiew – ZDF)

Der Neuzeitklassiker. Mit ’nem Sack voller offener Rechnungen. Oder pointierter:

Der Show-Down mit den Blutdopingverbrechern von Fuentes‘ Gnaden.

Glückwunsch an Italien, auch weil sie mit fairen Mitteln (!) gewonnen haben. Sie müssen jetzt den Schlafwagen-Pipi-Kaka Tici-Taca aufhalten. Nicht für Girlandenmenschen / Eventottos / Fußballkarnevalisten, nein, Italien muss für uns, für alle Menschen gewinnen, die sich für menschlichen Fußball, Ernstmeiner-Fußball und nicht für das roboterhafte Kurzpass-Langweilerspiel interessieren.

Der gestrige Spieltag:

Deutschland – Italien 1:2 (0:2)

Endlich! Der erste Pflichtspielsieg nach einem halben Jahrhundert.

[Das ursprünglich hier eingebettete Video wurde vom Verfasser entfernt.]

Schon die Fahrt ins Kalker EM-Studio war nicht die reine Freude: Etwa 15 Girlandos im Regionalexpress, die skandierend kundtaten, sie seien „asozial“ und haben „Spaß dabei!“, mit Gashupen, was meine konzentrierte Spielvorbereitung empfindlich störte,  auch erfuhr ich „Deutschlandfans sind keine Verbrecher!“ und „Deutschland ist der geilste Club der Welt“. Und: „Du kannst nicht telefonieren.“ [Audiobeweis folgt].

Gegeben wurde also: „Spiel gegen die Nemesis I“. In Warschau. Sehr schnell erst einmal ein paar fußballerische „bold statements“ verteilt.

„Mein Gott Heiko, das Spiel hat noch gar nicht angefangen!“

„Das Spiel hat nie aufgehört, Thünn.“

Stahlhelm auf und Kroos machen bringen. Zweifel. Beim „Respektappell“ hätte ich ja eigentlich ’ne Erklärung von „Lahmy“ zum Rettungsschirm erwartet. Ich pfeife vor den Nationalhymnen die Benny-Hill-Melodie, und Thünn meint zutreffend, „Ah, man macht sich Mut im Luftschutzkeller.“ Blick auf die Tribüne, Steffen Simon: „Die Spielerfrauentribüne.“ Oha, Olli Pocher ist also eine Spielerfrau, Herr Simon.

Bei den Hymnen, die kristallklar 1:0 an Italien gingen, die erste Idee: Italien will, will mit allen Mitteln, unsere Jungs wieder zu brav. Prof. Dr. Löw knabbert an den Fingernägeln, das macht er sonst nie. Kein gutes Zeichen. Genau wie der Kettenhund für Pirlo. Warum drängen wir den Jungs nicht unser Spiel auf?

Aaaaargh! Den muss Hummels doch nach 5 Minuten machen.“ Ein Tunnel bei Buffon, die Pocke geht rein und wir erleben einen entspannten Abend. Italien mit starkem Pressing, dann in der 11. Minute beinahe ein Eigentor. Wenn Clown Gigi sich den über Bande reinhaut, kann alles gut ausgehen. Ich habe zum ersten Mal ein ganz, ganz mieses Gefühl! Warum machen sie nicht das Selbsttor?! Neuer wurde dann zweimal aus der Distanz warmgeschossen und es geht wieder, mit meinen dunklen „Wir scheiden aus!“-Gedanken.

Die Italiener dann mit guter Raumaufteilung und folgerichtig das 1:0 für Italien mit Ansage und großartiger Aktion von Balotelli, unsere Abwehrspieler wie dumme Schuljungs. „Bitte einen Tourettekellner an Tisch 4!

Es folgt in der 36. Minute das 2:0 durch Balotelli, einen Ball, der gegen England zu 100 Prozent an den Pfosten gegangen wäre. Und täglich grüßt das Murmeltier. Ich rufe & twittere: „Pirlotechnik ist ein Verbrechen!“ Und in mir erwacht die Testspielmemme:

Wir können nicht gegen sie gewinnen. Wir können es einfach nicht. Wir können es nicht. 0:2. Aaaaaaargh! Diese Pocke hätte Balotelli gegen England an den Pfosten geschossen… es ist alles so schrecklich… diese Aufstellung ist Dreck!! Und: WARUM SCHEISSEN WIR UNS BEIM HALBFINALE EIGENTLICH IMMER IN DIE HOSEN????“

Zur Halbzeit ein bizarrer Funken Hoffnung, als Gladbacher kennt man das: „Wenn wir da zurückkehren in DIESES Spiel, wird das die größte Auferstehungsnummer seit Lazarus!“ Aber Italien ist uns über, die wollen. Und spielen gut. Vor dem Spiel sagte ich noch zur kränkelnden Bloginhaberin „Wir sind früh zu Hause, das Spiel geht nicht in die Verlängerung, wir gewinnen 3:1 und gut is‘.“ Ich könnte mich jetzt sehr gut mit einer Verlängerung anfreunden. Sie auch.

Als es uns bis zur 65. Minute nicht gelingt, den Anschlusstreffer zu markieren, sehe ich es kristallklar, das, was ich auch nach der Bayern-Niederlage gegen Chelsea ahnte: „Es ist die verlorene Generation, sie haben kein Siegergen.“ Dann der erquickliche Reus-Freistoß. Verdammter Buffon! Gehalten. Der hat doch wieder auf sich gewettet…

Noch 3 Minuten. Es ist vorbei. Diesmal war es nicht Angst, sondern die falsche Taktik in Halbzeit 1. Und gleich die ganzen Autocorsi (falls das der Plural von Autocorso ist) in Kalk… es ist alles so schrecklich… es wird noch ein Kirmes-Handelfmeter gegeben, den wir sowieso verschießen… doch nicht. 1:2. Zu spät. Manuel Neuer als „12. Feldspieler“ (Zitat Steffen Simon), auch ihn nimmt die Niederlage mit. Aus.

1:2-Niederlage ins Herz, weil Prof. Dr. Löw den Fehler in der ersten Halbzeit begang. Ein Offizier wüsste, was zu tun ist. Und wenn Gomez ein Mann wäre, ließe er sich vom FCB nach China verkaufen.

Gegen Spanien war ich 2010 enttäuscht & traurig, gestern Abend war ich wütend. Über uns, über die feige Aufstellung. Glückwunsch an Italien, auch weil sie mit fairen Mitteln (!) gewonnen haben. Sie müssen den Schlafwagen-Pipi-Kaka Tici-Taca aufhalten. Nicht für Girlandenmenschen / Eventottos / Fußballkarnevalisten (einer sitzt mir beim Verfassen im Regionalexpress gegenüber, 07.45 Uhr, Deutschlandirokese, übernächtigt, 0,33l FRÜH-Kölsch), die dann wieder sagen können „Wir haben gegen den Turniersieger verloren“). Nein, Italien muss für uns, für alle Menschen gewinnen, die sich für menschlichen Fußball, Ernstmeiner-Fußball und nicht für das roboterhafte Kurzpass-Langweilerspiel interessieren.

Und wir?

Ich muss mit stoischer Ruhe die Hup-Wanderfahrt-Hölle in Köln ertragen, naja, die allererste Welle bedachte ich mit 200 Phon aus dem Fenster des EM-Studio Kalk mit „Bewertungen“ ihres Tuns und stelle auch heute morgen noch fest: Wir haben einfach kein Siegergen mehr!

Und wie konnte Prof. Dr. Löw bloß SO defensiv und auf den Gegner eingestellt in Halbzeit 1 antreten? Wie blogsatz.de so richtig schreibt:

Die Sabotage des Bundestrainers gegen das eigene Team zeigt durchschlagenden Erfolg.

WIR hätten den Italienern unser Spiel aufdrücken müssen. Es ist die verlorene Generation. Wir werden nie wieder einen Pott in den Abendhimmel stemmen. Wir können einfach nicht gegen sie gewinnen.

Ich kann die gequirlte Scheiße nicht mehr hören mit: „Wir haben ’n schönes Turnier gespielt!“ Ich will nicht schön spielen, sondern gewinnen. Man hat Boateng gezähmt, der den Drecksack geben könnte, und der Mann, der Werbeverträge mit Mercedes und Nutella aushandeln soll, Oliver Bierhoff, faselt von einem schönen Turnier. Ein schönes Turnier ist eins, das man gewinnt.

Aber genau das ist die Haltung von Funktionären wie Bierhoff und Niersbach. Sie sind zufrieden. Es war kein schönes Turnier. Nochmals, Wiederholung trainiert: Ein schönes Turnier ist eins, an dem man am Finalabend den Pott in den Abendhimmel streckt. Sie sind durch und durch fußballgentrifiziert, saturiert, denken in den Kategorien Nutella-Werbeverträge und nicht in Titeln.

Wir können einfach nicht mehr gewinnen, wenn es darauf ankommt. Das ZAG antwortet mit einer elektronischen Durchhalteparole:

„anyway. der erste große fehler unseres bundesjogi. der verziehen sein wird in zwei jahren, wenn wir als erste europäische mannschaft in südamerika den weltmeistertitel holen.“

Werden sie nicht. Wir können es nicht. Nicht mehr. Spaß-Deutschland ist in fußballerischen Zusammenhängen keine Ernstmeiner-Nation mehr.

Anja Sauerwald am Ende des Abends: „Ich werde vielleicht bis Montag traurig sein, aber nicht länger.“ Und ich glaube, mir geht es diesmal genauso.

Diesmal ist das Turnier vorbei. 

Warum Deutschland Europameister wird.

Zitate des gestrigen Spieltags:

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Erkenntnisse:

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Leserresonanz:

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4 Comments

  1. […] am Fenster herum und denkt:  Momente, in denen ich sehr dankbar bin und 1970, 1982, 2006 und 2012 […]

  2. […] Praktikant liest einen Blogbeitrag beim 18. Kalker […]

  3. […] Ich werde 2014 kein WM-Tagebuch führen, egal ob hier oder dort: Es bringt ja eh nichts. Ohne Siegergen und absoluten Willen kann man kein Turnier gewinnen. […]

  4. […] Ich habe durch das Ausscheiden und die Nichtbeteiligung, außer dass ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Turnier  für […]