EURO2012-Tagebuch (14)

[Vorrunde]

12.06.2012:

Griechenland – Tschechien (18:00 Uhr – Breslau – ARD)

Polen – Russland (20:45 Uhr – Warschau – ARD)

Im ersten Spiel dürfen wir karge Fußballkost erwarten, bei Polen gegen Russland ist m. E. keine Prognose möglich. Man darf jedoch davon ausgehen, dass Polen den Russen nicht so viel Räume lässt wie 1920 Tschechien.

Der gestrige Spieltag:

Frankreich – England 1:1 (1:1)

Die erste Halbzeit konnte ich arbeitsinduziert nicht live am Rundfunkgerät verfolgen, aber das ZAG versorgte mich mit einem meinungsstarken E-Mail-Ticker. Es war eh Ideales PublicViewing-Wetter für Engländer in der Region Köln-Bonn… dann die erste Botschaft aus dem ZAG, Hessisch-Lichtenau:

17:41 Uhr:

schon der erste verletzte bei england, beim warmmachen der torhüter hat sich unser alter freund ray clemence verletzt und wurde soeben vom platz getragen. slapstick-england. die gehen gleich komplett unter.

17:57 Uhr:

die hymnen. wie immer groß, ergreifend, blutrünstig, die marseillaise. für england sollten sie statt „god save the queen“ besser das thema der „benny hill show“ spielen.

18:31 Uhr:

einsnull england durch kopfball lescott, und nichtmal unverdient

Sehr irritierende Botschaften kamen da aus Hessen, hatte ich Frankreich doch als klaren Sieger auf dem Zettel und England nur eine Außenseiterchance eingeräumt, WEIL sie ohne den Mann mit dem Frank-Sinatra-Gedenk-Impantat spielen

18.40 Uhr:

einseins gewaltschuß nasri. mir gewinne des.

Die zweite Halbzeit habe ich mir dann im ZDF angeschaut, E-Mail gefiltert hätte mir auch ausgereicht. England handwerklich stärker als erwartet, und als – verdammt nochmal – von mir getippt! Der englische Torwart verpasste es leider bei der letzten Aktion des Spiels, die Tradition großer englischer Torhüter fortzuführen und hielt den Fernschuss – im Nachfassen – fest.

Wie immer ein imposanter Auswärtsmob der Engländer, aber trotz HD und gefühltem 64-Zoll-Fernseher konnte ich keine Zaunfahne entdecken, die die „Northern Canaries“-Zaunfahne der Morrissey-Fans von 2006 toppte:

Was mir bei diesem Spiel auch klar wurde:

Die Fußballschuhe bei diesem Turnier sehen alle so aus, als ob Dieter Bohlen und Ed Hardy eine Designpartnerschaft eingegangen seien. Die Franzosen traten fast alle mit der Edition „Lady Gaga“ an. Ansonsten ein eher grottoider Kick.

Ukraine – Schweden 2:1 (0:0)

In der Vorberichterstattung gelernt: Zlatan wird vom Team „Zlatan“ genannt. Die Ukraine mit meinem Lieblingsspieler Voronin oder Woronin, ich glaube mit „V“ wie in „Vogel“, den ich liebe, seit er im Februar 2007 sein abgefälschtes Tor für Leverkusen, das den Quasiabstieg von Borussia Mönchengladbach bedeutete, extatisch vor unserem Gästeblock in Leverkusen feierte.

Das Spiel begann mit einer Irritation. Für mich: Musste mich erst daran gewöhnen, dass die Schweden nicht in gelb spielen. Und seit wann überhaupt tragen die Umbro-Leibchen?!

Und die Ukraine? Sie war congenialer Partner beim langweiligsten Fußballspiel aller Zeiten, dem ich beiwohnen musste: WM 2006, dem Achtelfinale gegen die Schweiz, nach 90 Minuten litt ich unter einem akuten Boreout und fuhr nach Hause, da ich mir die Verlängerung nicht antun wollte. Als ich nach halbstündiger Fahrt von Müngersdorf nach Kalk zu Hause den Videotext anstellte, der Schock: Dieses Spiel wollte mich aus seinen Klauen der Langeweile nicht entlassen und ich war mittendrin im Elfmeterschießen, das die Schweizer ohne einen einzigen Treffer verloren. Vergangenheit, die nicht vergehen will.

Zurück zur Begegnung gegen Schweden: Die ukrainischen Fans machten ganz schön Alarm im Stadion. Die Ukraine bei schnell vorgetragenen Kontern scheinüberlegen in der ersten Halbzeit, Schweden steht souverän. Das Spiel dennoch ein wenig wirr und fahrig. Ibrahimovic in Halbzeit eins mit der Beweglichkeit einer Bahnschranke. Dennoch hatte er die größte Chance vor dem Pausenpfiff mit einem Kopfball an den Pfosten.

Nach der Pause dann ein paar Nickligkeiten zu Beginn. Und Satan Ibrahimovic stand dann gomezesk da, wo er stehen muss, um eine Minderleistung mit einem Tor zu krönen. Die Freude des Dreikronenteams währte nur kurz, Schewtschenko mit dem Kopfballausgleich ein paar Minuten später. Flottes Spiel nach dem Wiederanpfiff, der ukrainische Präsident Juschtschenko sah ein wenig einsam & verloren auf der Ehrentribüne aus. Sieben Minuten später war Schewtschenko wieder mit dem Kopf zur Stelle und dreht das Spiel. Das Stadion explodiert in Düsenjägerlautstärke! Der große alte Mann sorgte für den Erfolg des Gastgebers, die Nummer 4 im ukrainischen Tor verhinderte mit einem engagierten Bagger das 2:2.

P.S.: Die „Orange“-Werbung in Kiew entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie. 

Was sonst noch passierte / Presseschau:

Grande Enttäuschung

Schewtschenko schenkt Ukraine Sieg gegen Schweden

Zitate des gestrigen Spieltags:

„Es gibt Schiedsrichter, die sich den Respekt über Karten erkämpfen.“ (Wolf-Dieter „Poschi“ Poschmann)

„Oleg Blochin guckt, dass er das Unentschieden über die Zeit bekommt.“ (Poschi)

„Twittern, vielleicht sollt‘ ich das auch mal machen.“ (Oliver Kahn)

Leserresonanz:

Der Inhaber des EM-Studios Kalk hat sich mal dezidiert zur Bildregie der EM und den „Herren des Weltbilds“ geäußert:

„Ja, das ist ja mal ganz großes Kino hier mit den Beiträgen. Manche Links lassen mich sprachlos werden. Chapeau Beiträge!!!

Eben so wie die Bildregie: Chapeau, Polkraine. Ich sitz‘ auch nicht vor dem Fernseher um das Spiel zu verfolgen, sondern um mir stilsichere Blumengeflechte und die Pickel der jeweiligen Spieler in supersupersupersupsupsupslowslowslowslowmo anzusehen. Das Spiel ist da eher nebensächlich, echt jetzt. Irgendwie wie… Heinz Sielmann und Bernhard Grzimek und ihre supersuperslowslowslowslowslowwwwww Nahaufnahmen der fressenden antilopeneisbärgetigerten Steinläuse… Ich hab ja zur Einstimmung auf diese EM Deutschland-Frankreich 1982 gesehen. Empfehlenswert für die Jüngeren unter uns. Da redet der Reporter nur, wenns angebracht ist und die Zeitlupen sind dann da, wenn man sie wirklich braucht und halten sich an den Spielfluss. Vielleicht hat es was damit zu tun, dass Fußball immer mehr zur Massenware verkommen ist… ach egal, das versteht ja eh niemand, der nix von Fußball versteht.“

Und, obwohl es nie als quid-pro-quo gedacht war, sondern einfach, weil ich die 140-Zeichen-twitter-Spielberichte von blogsatz.de so schätze, hat er dem EURO2012-Tagebuch auch ein paar lobende Zeilen angedeihen lassen.

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One Comment

  1. EURO 2012, Tag 5 sagt:

    […] immer: der nächste modische Aufreger nach dem kunterbunten Schuhwerk. Ich zitiere den geschätzten Heiko Schomberg: “Die Fußballschuhe bei diesem Turnier sehen alle so aus, als ob Dieter Bohlen und Ed Hardy […]